Prognose für die Achsen und Antriebswellen des 1½-Deck-Bus


Nachtrag vom Oktober 2018:

Auch nach 14 Jahren und etlichen Kilometern auf der Straße funktioniert das Modell einwandfrei.
Lediglich die Lagerung der Antriebswellen wurde inzwischen mit Miniatur-Flanschkugellagern nachgerüstet und das Spiel in der Lenkmechanik hat sich etwas erhöht.



Das Fahrzeug hat eine Masse von 16 kg, die auf 6 Räder mit einem Radius von r = 50 mm verteilt wird.
Aus der Masse resultiert eine Gewichtskraft von 160 N, von der jedes Vorderrad 35 N und jedes Hinterrad 22,5 N trägt (gemessen mit Federwaage).
Das Modell soll mit 2 angetriebenen Rädern auf ebenem Boden innerhalb 1 s aus dem Stillstand auf eine Geschwindigkeit von 1 m/s (3,6 km/h) beschleunigt werden (ohne Berücksichtigung des Rollwiderstandes und der Massenträgheit der Antriebskomponenten).
Alle Achsen und Antriebswellen haben einen Durchmesser von 4 mm und bestehen aus Stahl S 235 (Annahme).



Vorderräder
Die Achsschenkel der Vorderräder werden mit schwellender Biegung belastet.
Der mittlere Abstand zwischen Achshalterung und Kraftwirkung beträgt l = 13 mm. Daraus ergibt sich eine statische Biegespannung von

σb = Mb / W = F · l / W = 35 N · 13 mm / 6,283 mm3 = 72 N/mm2.


Die max. zulässige Biegespannung für schwellende Biegung beträgt laut Dauerfestigkeitsschaubild σsch = 255 N/mm2, von der die Hälfte auf die statische Last entfallen soll:

σb zul = 127,5 N/mm2 > 72 N/mm2       o.k.




Nachlaufräder
Es gelten die Bedingungen der Vorderräder mit dem Unterschied, dass die Kraft F = 22,5 N und der mittlere Abstand zwischen Achshalterung und Kraftwirkung l = 20 mm beträgt. Die statische Biegespannung errechnet sich zu
σb = Mb / W = F · l / W = 22,5 N · 20 mm / 6,283 mm3 = 72 N/mm2 < 127,5 N/mm2       o.k.




Antriebsräder
Die Wellen der Antriebsräder werden mit wechselnder Biegung und schwellender Torsion belastet.
Der mittlere Abstand zwischen Achshalterung und Kraftwirkung beträgt auch hier l = 20 mm; es ergibt sich also ebenfalls eine statische Biegespannung von

σb = Mb / W = F · l / W = 22,5 N · 20 mm / 6,283 mm3 = 72 N/mm2.


Zusätzlich erzeugt der Antrieb bei Beschleunigung des Modells eine Torsionsspannung von max.

τt max = Mt max / Wp = F · r / Wp = 0,5 · m · a · r / Wp = 0,5 · m · v · r / (t · Wp) = 32 N/mm2

mit einem angenommenen Mittelwert von τt = 16 N/mm2 (das Modell wird nicht ständig beschleunigt und abgebremst).


Die daraus resultierende Vergleichs-Biegespannung gemäß der GEH errechnet sich damit zu

σv = √ [σb2 + 3(0,7 · τt)2] = 75 N/mm2.


Da der Anteil der Biegespannung dominiert, wird als Grenzwert die zulässige Spannung für wechselnde Biegung gemäß Dauerfestigkeitsschaubild σw = 170 N/mm2 festgelegt, von der die Hälfte auf die statische bzw. mittlere Last entfallen soll:
σb zul = 85 N/mm2 > 75 N/mm2      o.k.


Demnach sind die Achsschenkel und Wellen korrekt dimensioniert; eine evtl. Überlastung wurde nicht nachgewiesen.
Die Vorgabe für die Beschleunigung des Modells ist hier aber nur eine Rechengröße; das tatsächliche Drehmoment an den Antriebswellen kann größer sein und bedarf deshalb einer weiteren Untersuchung.



Maximales Drehmoment des Antriebs
Für den Antrieb wird ein Motor mit folgenden Daten benutzt:

Leerlauf: Nennspannung U = 6 V, Leerlaufdrehzahl n = 93 1/s (5600 1/min), Stromaufnahme I = 0,5 A
Nennlast: Nennspannung U = 6 V, Nennlastdrehzahl n = 75 1/s (4500 1/min), Stromaufnahme I = 1,7 A

mit einem Ankerwiderstand von R = 0,9078 Ohm und einer Maschinenkonstanten von c = 9,457 · 10-3 Vs (siehe "Kenngrößen von Gleichstrommotoren").

Der Motor wird jedoch nicht mit 6 V, sondern aus einem 7-zelligen Akku mit 8,4 V betrieben. Dadurch erhöht sich das Anlauf-Drehmoment von ca. 6 Ncm auf max. ca. 8,5 Ncm (siehe "Kenngrößen von Gleichstrommotoren").

Zwischen Motor und Antriebswellen wirkt eine Untersetzung von 36:1; das max. Anlauf-Drehmoment am Differenzial errechnet sich somit zu etwa 3 Nm (ohne Berücksichtigung der mechanischen Verluste), welches sich zu jeweils Mt max = 1,5 Nm auf jede Antriebswelle verteilt. Die daraus resultierende Torsionsspannung ergibt sich zu

τt max = Mt max / Wp = 119 N/mm2

mit einem angenommenen Mittelwert von τt = 60 N/mm2 (das Modell wird nicht ständig mit maximalem Anlauf-Drehmoment beschleunigt und abgebremst).

Die daraus resultierende Vergleichs-Biegespannung gemäß der GEH errechnet sich damit zu

σv = √ [σb2 + 3(0,7 · τt)2] = 102 N/mm2,

welche den angenommenen Grenzwert überschreitet:
σb zul = 85 N/mm2 < 105 N/mm2       nicht o.k.


Dieses Ergebnis besagt, dass die Antriebswellen für schlagartiges Beschleunigen mit maximalem Anlauf-Drehmoment rechnerisch auf Dauer nicht geeignet sind.
Ein solcher Betriebszustand entspricht aber nicht dem üblichen Fahrverhalten eines Modells, da es normalerweise mit Hilfe des Fahrtreglers sanft angefahren und abgebremst werden kann - insofern bleibt ein Ermüdungsbruch der Antriebswellen nach wie vor unwahrscheinlich.

Letztendlich spiegelt dieses Ergebnis die Realität wider:
Auch der Antrieb eines realen Fahrzeugs ist nicht dafür ausgelegt, es ständig bei Vollgas mit schlagartig geschlossener Kupplung anzufahren (siehe auch zum Thema Knallstart in Wikipedia).